Andacht

Jesus spricht: Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.

Johannes 10.10b

Am Anfang steht das Wörtchen ‚eigentlich‘. Eigentlich wäre es gut, ein bisschen weniger Alkohol zu trinken. Nicht jeden Abend mit dem Rotweinglas auf dem Sofa zu versacken. Anstelle der Vorabendserien noch mal eine Runde ums Dorf zu drehen. Und statt darüber zu klagen, dass so viele Kontakte eingeschlafen sind, mal wieder zum Telefonhörer zu greifen.

Eigentlich wäre es schön, ein bisschen anders zu leben. Etwas freier, leichter. Nicht so verzagt; vielleicht leuchtender, strahlender. Dazu zählt, die kleinen und großen Süchte aufzuspüren und sie wieder in Sehnsüchte zu verwandeln. Diese aber nicht eilig mit Schokoladentafeln stillen, sondern sie aushalten, manchmal auch schmerzlich, und nach dem suchen, was wirklich satt macht.

Sofort melden sich verlässliche Gegenstimmen zu Wort. ‚So schlimm ist es nun auch wieder nicht‘, flüstert die Bequemlichkeit. ‚Und wenn du es nicht schaffst‘, bangt die Angst. ‚Es gibt wichtigere Dinge‘, argumentiert die Vernunft. ‚Nett wäre doch mal wieder ein gemütlicher Kneipenabend‘, lockt die Verführung. Und der Realismus unkt, dass das ja alles doch nichts bringen wird.

Und trotzdem: die sieben Wochen von Aschermittwoch bis Ostersonntag können eine Auszeit sein, in der das kleine Wörtchen ‚eigentlich‘ von einem selbst etwas größer geschrieben wird.

In der Fastenzeit geht es nicht darum, bestimmte Lebensmittel zu verdammen. ‚Alles ist mir erlaubt‘, schreibt Paulus, ‚aber nicht alles dient mir zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll mich gefangen nehmen.‘ (1. Korinther 6.12) Recht hat er. Selbstverständlich darf ich Süßes futtern, so viel ich mag. Und natürlich verbietet mir niemand, Bonbons während der Autofahrt zu lutschen. Allerdings: das rechte Maß ist entscheidend und die Frage, ob die Dinge mich beherrschen oder ich sie. Beim Fasten geht es nicht darum, sich selbst weh zu tun. Aber es ist wichtig, ehrlich zu sein, sich einzugestehen, wo ich mich entfernt habe von mir, meinem Körper und meiner Seele, von anderen und von Gott.Das ist nicht leicht. Denn vor allem gilt es, die eigene Bedürftigkeit auszuhalten, sich einzugestehen, dass ich mir nicht alles selbst geben und mich nicht selbst erfüllen kann. Fasten bedeutet Vertrauen zu lernen, denn mein Durst, meine Bedürfnisse, meine Sehnsüchte werden auf andere Weise gestillt. Leere wagen und dem Versprechen Jesu vertrauen: ‚Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.‘ (Johannesevangelium 10.10b) Solche Lebensperspektive auszustrahlen, dazu ermutigt die diesjährige Fastenaktion der Evangelischen Kirche mit ihrem Motto: ‚Leuchten! Sieben Wochen ohne Verzagtheit.‘

Fasten ist immer eine persönliche Entscheidung. Fasten bedeutet nicht automatisch Abstinenz – ganz im Gegenteil: Das kann auch heißen, sich selbst etwas Gutes zu gönnen.

Die sieben Wochen bieten uns die Chance, sich dem Leben zu stellen, die leeren Hände hinzuhalten und darauf zu vertrauen, dass Gott sie füllt. Es könnte sein, ein Leuchten geht von uns aus…

7 Wochen Ohne/Getty Images

meint Ihr Rafael Schindler